Biodiversität und bewirtschafteter Wald schließt sich nicht aus

Gastbeitrag von DI Martin Krondorfer (FAST Pichl)
Die Land- und Forstwirtschaft ist in den letzten Jahren – zu Unrecht – immer wieder zum Hauptverantwortlichen für die Klimakrise und ganz besonders auch für den weltweiten Artenschwund gemacht worden. Das führte jedoch dazu, dass die EU-Waldstrategie, die im Sommer vorgelegt wurde, diesbezüglich eine Reihe von einschneidenden Maßnahmen für die Waldbesitzer*innen und -bewirtschafter*innen vorsieht. Unter anderem sollen etwa 30 Prozent der Landfläche geschützt und zehn Prozent davon unter strengen Schutz gestellt werden. Flächige Stilllegungen von Waldgebieten, auch im Wirtschaftswald, sind ebenfalls Teil der EU-Strategie.

Die meisten Monitoringprojekte rund um die Artenvielfalt haben in geschützten Waldökosystemen stattgefunden, der Wirtschaftswald wurde meist, aus Unkenntnis und mangelnder Forschung, als artenarm dargestellt.
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Nistmöglichkeit für Specht & Co © FAST Pichl

Sensationelle Ergebnisse

Ein Zugang, dem Waldbesitzer*innen wenig abgewinnen können. Im Gegenteil: Sie wissen aus ihrer teils langjährigen Erfahrung und Praxis, dass ein gepflegter und bewirtschafteter Wald genauso zum Klima- und Artenschutz beiträgt. Und das wurde nun in einem Forschungs-Projekt, das die Forstabteilung der Landwirtschaftskammer Steiermark im Lehrforst Pichl durchgeführt hat, auch schwarz auf weiß belegt. 

Die über das Forschungsprojekt entdeckte Artenvielfalt auf unterschiedlichen Standorten hat die Erwartungen bei Weitem übertroffen, Rote Liste Arten, Endemiten und viele andere geschützte Tier-, Pflanzen- und Pilzarten wurden in einem seit Jahrhunderten bewirtschafteten Wald entdeckt.  
 
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Platz für die Rotbuche - Förderung des seltenen Nagelflecks © FAST Pichl

Reiche Artenvielfalt

Was sind nun die Schlüsselfaktoren für vielfältige Lebensformen im Wald. Die Vielseitigkeit von Lebensformen wird einerseits von kleinflächigen, standörtlichen Faktoren, wie Temperatur, Lichteinfall, Bodenarte, pH-Wert u.a. beeinflusst, andererseits spielt die Baumartenverteilung, dass Alter der Bäume, die Stufigkeit des Bestandes und der Totholzanteil eine große Rolle. Eine Wertung, was ist besser und was ist schlechter ist meiner Ansicht nicht zulässig, da jeder Waldbestand – jede Waldstruktur ihre Besonderheit für die eine oder andere Lebensform darstellt. Für diese fachkundige Beweisführung wurde auf einer Waldfläche von 350 Hektar ein mehrjähriges Forschungsprojekt initiiert. Zahlreiche Wissenschaftler*innen und Biolog*innen, haben in akribischer Kleinarbeit auf 13 unterschiedlichen Waldstandorten die Fauna und Flora genauestens unter die Lupe genommen.

In acht großen Arbeitsgruppen wurden Spinnentiere, Insekten, Weichtiere, Fledermäuse, Kleinsäuger, Tag- und Nachtschmetterlinge, Libellen, Heuschrecken, Vögel, Amphibien, Reptilien, Gefäßpflanzen, Flechten, Moose und Pilze nach ihrem Vorkommen untersucht. Das Endergebnis stimmt die Expert*innen überaus positiv; es zeigt nämlich ganz klar, dass der bewirtschaftete Wald ein rundum vielfältiges und gesundes Ökosystem darstellt. So wurden im Lehrforst unter anderem etwa 59 Vogelarten und 1.146 Pilzarten nachgewiesen. Diese Ergebnisse stützen übrigens auch die „Wiener Erklärung“, in der Waldbesitzer-Vertreter*innen aus 16 europäischen Ländern ihre Bedenken gegen die EU-Waldstrategie darlegen und eine Kurskorrektur fordern. 
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Licht und Wärme für die fleißigen Helfer im Wald © FAST Pichl

Eindeutig positive Studienergebnisse

Viel Totholz!
Der Totholzanteil im Wirtschaftswald wird meist unterschätzt. So wurde auf den unterschiedlich bewirtschafteten Flächen im Forstgut Pichl zwischen 20 und 128 m3/ha (der Durchschnitt liegt bei 42 m3/ha) ermittelt. Ein klarer Zusammenhang besteht zwischen der Totholzmenge und dem Artenreichtum.  Manche Lebensformen bevorzugen stehendes Totholz, manche bevorzugen liegendes Totholz, andere wiederrum, wie z.B. Rindenwanzen bevorzugen verpilzte Totholzstraten bis ca. 2 m Höhe.

Neue Arten entdeckt!
Es hat sich gezeigt, dass alte Baumeinzelindividuen maßgeblich zur Erhaltung von Rote-Liste-Arten beitragen. Das Belassen von einigen Biotop-Bäumen hat einen sehr hohen Effekt.
Hohe Tier- und Pflanzen-Vielfalt! Diese wird wesentlich durch kleinstandörtliche Besonderheiten wie Grundgestein, Lichtverhältnisse und Wasserversorgung bestimmt und gefördert. Es wurden bei Ameisen sogar unvermutete Arten entdeckt.

Bejagung ist vorteilhaft!
Flächen mit einer höheren Bejagungsintensität weisen einen sprunghaft höheren Anteil an wichtigen Mischbaumarten auf.

Wechselnde Altersklassen!
Wechselnde Strukturen und Altersklassen wirken sich trotz Nadelholzdominanz positiv auf die Vogelwelt aus. 

Hohe Biodiversität!
Trotz jahrhundertelanger Bewirtschaftung der Waldgebiete ist die Biodiversität im Lehrforst nach wie vor sehr hoch.

Was kann nun der*die einzelne Waldbesitzer*in zur Förderung der Biodiversität tun?

  • Dauerwald vs. Freifläche
    Ein großer Vorteil der Waldökosysteme ist die Langlebigkeit der Bäume und die langen Bewirtschaftungszeiträume. Dadurch werden Waldlebensräume langfristig keinen großen Veränderungen unterworfen. Dies begünstigt besonders bodenbewohnende Tierarten mit sehr kleinen Ausbreitungsmöglichkeiten. Dauerwaldstrukturen mit einem gewissen Anteil an Totholz wirken hier für gering mobile Tierarten sicher positiv. Ein Kahlschlag führt bei geringmobilen Tierarten zu einem Massensterben. Aber genau diese Veränderung führt zu einem rasanten Ansteigen anderer Pflanzen- und Tierarten, welche offene Strukturen, Licht und Wärme benötigen. Besondere lichtdominante Pflanzenarten, Blühpflanzen aber auch Pioniergehölze mit hohem Biodiversitätscharakter, wie Birke und Zitterpappel können sich entwickeln, Schmetterlingsarten, Schrecken und Zikaden, Schlangenarten haben plötzlich wieder neue Entwicklungsmöglichkeiten. Auf diesen Freiflächen Totholz stehen, oder vermorschende Stämme freiwillig liegen zu lassen fördert auf jeden Fall das Artenspektrum.
     
  • Baumartenwahl
    Allein aus der neuen Klimawandel-Anpassungsstrategie, welche einerseits das mittelfristige Hinarbeiten zu standortstauglichen und natürlichen Waldökosystemen und andererseits die Förderung von klimafitten Baumarten fordert, birgt dies die Chance auch für die Förderung der Biodiversität einiges zu tun.
     
  • Totholz
    ... fördert viele unterschiedliche Lebensformen und die Forderung des Naturschutzes mehr Totholz in den Wirtschaftswäldern zu erhalten ist von dieser Sichtweise aus begründbar. Dort wo die Sicherheit des Waldarbeiters oder des Waldbesuchers gefährdet ist, diese Totholzbäume sind auf jeden Fall zu Fällen und nach Möglichkeit liegen zu lassen. Höhlen- und Brutbäume sind so lange wie möglich zu erhalten!
     
  • Die Waldpflege
    ... von der Jungwuchs- über die Dickungspflege bis zu den Durchforstungsmaßnahmen haben einen positiven Einfluss auf das Erhalten und Fördern unterschiedlicher Lebensformen.
     
  • Kleinstrukturen erhalten
    Einzelne alte Bäume, Tümpel und Wasserläufe, warme besonnte Standorte erhalten.
Mit einer naturnahen, klimafitten Waldwirtschaft fördert und erhält, aber verändert auch der*die Waldbesitzer*in Strukturen vielschichter Lebensformen im Wald, denn Leben fördern heißt auch – Veränderung!

Den Wald zu bewirtschaften heißt einerseits ökonomisch den wertvollen Rohstoff Holz zu ernten, aber auch die vielen Aspekte rund um Klimawandel und die Förderung der Biodiversität mitzudenken – eine wahrlich große Herausforderung.

Die Forstliche Ausbildungsstätte Pichl bietet einen für Österreich einzigartigen Zertifikatslehrgang „Waldökologie- und Naturraummanagement“ an, der die Aspekte zur Förderung der Biodiversität im Wirtschaftswald behandelt.
Weitere interessante Beiträge rund um den Wald sind HIER zu finden!